Thüringer Bürgerbeauftragter überreicht seinen Jahresbericht an den Thüringer Landtag
Der Bürgerbeauftragte des Freistaats Thüringen, Dr. Kurt Herzberg, hat heute (10. März) seinen Tätigkeitsbericht für das Jahr 2015 an den Präsidenten des Thüringer Landtags, Christian Carius, überreicht. Dr. Kurt Herzberg stellte den Bericht vor und zog folgendes Fazit:
„Mit dem aktuellen Bericht an den Thüringer Landtag baue ich die Transparenz meiner Arbeit weiter aus. Neben den statistischen Informationen informiere ich über die Ergebnisse einer 2015 durchgeführten repräsentativen Umfrage bei den Bürgerinnen und Bürgern, die sich an mich gewandt haben. Der Bericht gibt darüber hinaus den Abgeordneten einige Anregungen und Hinweise auf problematische Entwicklungen in der Verwaltung bzw. beim Gesetzesvollzug.
Neben der Unterrichtung des Landtags ist der Jahresbericht aber auch eine Information für die Bürgerinnen und Bürger in Thüringen. Ich erläutere deshalb ausführlich das Amt, die Wirkungsweise und Befassungsmöglichkeiten des Bürgerbeauftragten. Denn auch wenn die Fallzahlen steigen, ist es dennoch so, dass viele Menschen das Angebot des Bürgerbeauftragten nicht kennen. Dieses Informationsdefizit möchte ich mit dem Bericht weiter abbauen.
Im Jahr 2015 sind beim Bürgerbeauftragten 723 Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern schriftlich oder mündlich eingegangen. Im Vergleich zum Vorjahr ist das wiederholt ein leichter Anstieg von sechs Prozent. Es fällt auf, dass fast 60 Prozent der Anliegen – im Rahmen meiner Sprechtage oder per Telefon - mündlich vorgebracht werden. Für mich ist diese Zahl ein Beleg dafür, dass das direkte Gespräch als niederschwelliges Angebot trotz aller technischen Möglichkeiten keineswegs ausgedient hat – eher im Gegenteil!
Der Blick auf die Sachgebiete, denen die Neuzugänge zugeordnet werden können, zeigt, dass die Anzahl sozialer Anliegen am höchsten und im Vergleich zu 2014 erneut gestiegen ist (+5,1 Prozent). 28,1 Prozent der Neueingänge in 2015 betreffen soziale Belange. Zu diesem Sachgebiet zählen Themen wie Arbeit, Wohnen, Familie/Kinder/Jugend, SGB II und Grundsicherung, Rente und Alter sowie Gesundheit, Behinderung und Krankenkassen.
Im Berichtszeitraum wurden 734 Anliegen abgeschlossen. Bei 17,3 Prozent der abgeschlossenen Fälle konnte der Bürgerbeauftragte dem Anliegen tatsächlich abhelfen. Hinzu kommen 25,6 Prozent, bei denen die gesuchte Information gegeben werden konnte. Bei 16 Prozent der Fälle wurde die Angelegenheit an die zuständige Stelle direkt weitergeleitet (7,8 Prozent) bzw. der Bürger an die zuständige Stelle verwiesen (8,2 Prozent). Somit haben in fast 60 Prozent der Anliegen die Menschen unmittelbar Unterstützung und Hilfe erfahren. Bei weiteren 30,5 Prozent wurde nach unabhängiger Prüfung des Sachverhalts den Bürgerinnen und Bürgern das Verwaltungshandeln umfassend erläutert, was oft zu einer besseren Akzeptanz beigetragen hat. Auch wenn der Erfolg der Arbeit des Bürgerbeauftragten sich nicht auf diese Zahlen reduzieren lässt, so ist diese Bilanz gut.
Insbesondere das Sozialleistungsrecht wird zunehmend verzweigter und angesichts der Fortentwicklung des Rechts durch Entscheidungen der Rechtsprechung auch immer ausdifferenzierter. Damit wird es aber auch fehleranfälliger. Für meine Arbeit bedeutet dieser Zustand die vermehrte Auseinandersetzung mit Multiproblemlagen, mit komplexen Fällen bei denen sich verschiedene Sozialbereiche tangieren. Ich sehe meine Aufgabe aber auch darin, ausgehend von den bearbeiteten Anliegen und den Erfahrungen aus der Vielzahl der Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern erforderlich scheinende Veränderungen auf politischer Ebene anzuregen.“
Der Bürgerbeauftragte weist auf Probleme hin
1. Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse bei Zuständigkeit des Landesverwaltungsamtes (vgl. im Bericht S. 119)
Im Berichtszeitraum traten bei mehreren Anliegen Probleme bei der Anerkennung von im Ausland erworbenen Bildungsabschlüssen zutage. Diese Anerkennung durch das zuständige Thüringer Lan-desverwaltungsamt (TLVwA) gestaltete sich nämlich jeweils sehr zeitaufwändig und schwierig. Es wurden Unzulänglichkeiten offensichtlich, die auf strukturelle Mängel in der Organisation bzw. bei der Personalausstattung der Verwaltung oder dort bestehende kompetenzielle Schwächen schließen lassen. Hier sieht der Bürgerbeauftragte dringenden Handlungsbedarf, zumal die Fallzahlen angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation deutlich steigen werden. Der Bürgerbeauftragte hat sich deshalb auch bereits mit dem Präsidenten des TLVwA in Verbindung gesetzt.
2. Verwehrte Teilhabe-Leistungen für Mittagessen in Horten von freien Trägern (vgl. im Bericht S. 122)
Zum Sachverhalt: In der Sache geht es um die Frage, ob Eltern, die SGB-II-Leistungen beziehen und deren Kinder an der gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung eines Hortes teilnehmen, die ihnen entstehenden Mehrkosten ersetzt bekommen. Regelfall ist der, dass das Kind diese Mittagsverpflegung im Schulhort einnimmt. Hier war und ist eine Kostenübernahme problemlos möglich. Diese Kostenübernahme für die Mehraufwendungen der gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung war bis zum 31.12.2013 auch dann möglich, wenn die Kinder das Mittagessen nicht im schuleigenen Hort einnehmen, sondern in einer von den Eltern gewählten externen Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe („Träger der freie Jugendhilfe“).
Durch eine Änderung im SGB II sind die Kommunen nun aber nicht mehr dazu verpflichtet, wenn es sich nicht um eine „schulische Mittagsversorgung“ handelt. Dem Bürgerbeauftragten liegen Fälle vor, in denen diese Leistung versagt wurde. Aufgrund der Haushaltslage in vielen Kommunen ist damit zu rechnen, dass diese Praxis zunimmt.
Das Problem: Für die betroffenen Eltern kommt es, wenn sie an ihrer Entscheidung für den Hort beim freien Träger festhalten, zu nicht unerheblichen praktischen Problemen und zu kaum lösbaren organisatorischen Schwierigkeiten. So sind z.B. Fragen der Aufsichtspflicht zwischen Unterrichtsende und schulischem Mittagessen ungeklärt, wenn die Kinder erst nach dem (geförderten) Essen in der Schule zum Hort gehen.
Im Ergebnis bedeutet dies: Familien, denen es aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation nicht möglich ist, den finanziellen Mehraufwand für die Mittagsverpflegung bei einem freien Träger zu tragen‚ ‚müssen‘ ihre Kinder zur Mittagsverpflegung des Schulhortes schicken, um die Voraussetzungen für die Kostenübernahme nach § 28 Abs. 6 SGB II zu erfüllen. Betroffene Eltern werden so auf Umwegen faktisch zur Inanspruchnahme des Schulhortes ‚gedrängt‘.
Herzberg dazu: „Damit wird jedoch in der Praxis das den Eltern zustehende Wunsch- und Wahlrecht ausgehöhlt! Außerdem findet indirekt eine soziale Segregation statt. Ich halte diese Situation für sehr unbefriedigend und beanstandungswürdig.“
Lösungsvorschläge: Herzberg schlägt zwei Möglichkeiten vor, die Situation zu beheben: „Entweder der Bund ändert das SGB II dahingehend, dass die Kostenübernahme für Mehraufwendungen der gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung auch beim Besuch von Horten wieder gesetzliche Pflichtaufgabe ist. Oder: Auf Landesebene findet im Wege fachaufsichtlicher Auslegung / Präzisierung eine Klärung dahingehend statt, was im Einzelnen unter ‚Mittagsverpflegung in schulischer Verantwortung‘ zu verstehen ist bzw. unter welchen Bedingungen ein ‚Hortmittagessen in schulischer Verantwortung‘ angenommen werden kann.“
Der Bürgerbeauftragte im Qualitätstest (vgl. im Bericht ab S. 98)
Im Berichtsjahr hat der Bürgerbeauftragte seine Arbeit einem Qualitätstest unterzogen. Dazu wandte er sich im Oktober 2015 mit einem Fragebogen an die Bürgerinnen und Bürger, deren Bürgeranliegen im Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis zum 30. Juni 2015 abgeschlossen wurden. 51 Prozent der Bürgerinnen und Bürger haben sich die Zeit genommen und beantworteten den Fragebogen.
Herzberg wörtlich: „Das war ein erstaunlicher Rücklauf, der uns sehr freute. Und ich gebe zu, wir hatten mit einem durchwachsenen Ergebnis gerechnet. Immerhin kommen Menschen zu uns, die eine teils längere Konfliktgeschichte mit Behörden hinter sich haben und denen wir nicht immer weiterhelfen können. Umso mehr waren wir überrascht, wie positiv die Betroffenen die Arbeit des Bürgerbeauftragten bewerteten. Besonders freue ich mich darüber, dass 88 Prozent der Befragten die Schreiben des Bürgerbeauftragten „sehr gut“ bzw. „gut“ verständlich finden. Nachdenklich macht mich, wenn 42,3 Prozent der Befragten angeben, dass sie in der Situation, in der sie sich an den Bürgerbeauftragten gewandt haben, keine weitere Hilfs- oder Unterstützungsmöglichkeit hatten. Hier wird ein Problem und ein Bedarf sichtbar.“
Ausgewählte Ergebnisse der Umfrage:
Rund 40 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen der Bürgerbeauftragte „sehr gut“ bzw. „gut“ helfen konnte. 54 Prozent waren mit dem Ergebnis der Arbeit des Bürgerbeauftragten „gut“ bzw. „sehr gut“ zufrieden. 16,4 Prozent waren mit dem Ergebnis sehr unzufrieden. Die Bearbeitungsdauer der Anliegen bewerten 70 Prozent der Befragten mit „sehr gut“ bzw. „gut“. (Anmerkung: Rund 50 Prozent der Anliegen werden in den ersten 30 Tagen abgeschlossen.) 88 Prozent der Befragten finden die Schreiben des Bürgerbeauftragten „sehr gut“ bzw. „gut“ verständlich.
42,3 Prozent der Befragten geben an, dass sie in der Situation, in der sie sich an den Bürgerbeauftragten gewandt haben, keine weitere Hilfs- oder Unterstützungsmöglichkeit hatten. Mit Familie (24,2 Prozent) und Freunde/Bekannte (19,8 Prozent) wird der unmittelbare soziale Nahraum als wichtigstes Unterstützungssystem bei Problemen mit der Verwaltung benannt.
Ein deutliches Anzeichen für die Qualität der Arbeit ist die Tatsache, ob jemand sich wieder an den Bürgerbeauftragten wenden bzw. diese Hilfe auch anderen empfehlen würde. Beide Fragen beantwor-ten über 77 Prozent der Befragten mit „Ja“.
Herzbergs Fazit: „Das Amt des Bürgerbeauftragten hat sich bisher als für die Betroffenen wichtige Dialog-Instanz bewährt, wenn sie Probleme mit Verwaltung und Behörden haben. Der Bürgerbeauftragte lotst im Behördendschungel, gibt Informationen, prüft unabhängig Verwaltungshandeln und erklärt es den Betroffenen. Damit trägt der Bürgerbeauftragte zu mehr Akzeptanz behördlicher Ent-scheidungen bei und vermittelt, wenn möglich, einvernehmliche Lösungen. Gleichzeitig schützt er Verwaltungen vor falschen Erwartungen und mahnt auftretende Fehler ihnen gegenüber an. Das zeigen Beispiele, in denen der Bürgerbeauftragte die Änderung einer Straßenreinigungssatzung (vgl. S. 72) oder die rückwirkende Korrektur bestandskräftiger Gebührenbescheide bei einem Zweckverband (vgl. S. 75) erreichte.“
Der Jahresbericht des Thüringer Bürgerbeauftragten wird gemäß § 5 Thüringer Bürgerbeauftragtengesetz gegenüber dem Thüringer Landtag erstattet. Er ist – wie auch die Berichte der Vorjahre – unter www.buergerbeauftragter-thueringen.de veröffentlicht.
Pressekontakt für Rückfragen
Daniela Kirsche
Tel.: 0361 37-71878