Aufstiegs-BAföG: schleppende Antragsbearbeitung beim Landesverwaltungsamt
„Wovon soll ich leben, bis ich das beantragte Aufstiegs-BAföG bewilligt bekommen habe? Denn ALG II – Leistungen gibt es seit Antragstellung nicht mehr, aber eine abschließende Bearbeitung meines Antrages ist aktuell nicht absehbar“, schrieb ein genervter Bürger dem Bürgerbeauftragten und bat ihn um Unterstützung.
Hintergrund: Der junge Mann, seine erwerbstätige Ehefrau sowie die zwei Kinder erhielten aufstockende Leistungen nach dem SGB II. Nun strebte der Vater eine Ausbildung zum Erzieher an. Der erste Schritt auf diesem Weg war nun die Ausbildung zum Sozialassistenten. Zur Finanzierung dieser Ausbildung hatte er beim Thüringer Landesverwaltungsamt einen Antrag auf Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung gestellt. Rechtsgrundlage für dieses sog. Aufstiegs-BaföG ist das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz (AFBG). Bereits mit der Eingangsbestätigung des für die Bearbeitung seines Antrages zuständigen Thüringer Landesverwaltungsamtes wurde er darauf hingewiesen, dass die Bearbeitungszeit der Anträge auf Aufstiegs-BAföG aktuell bis zu fünf Monate betrage.
Diese Auskunft war für den Bürger aus nachvollziehbaren Gründen nicht akzeptabel. Denn zum einen fiel er mit dem Zeitpunkt der Antragstellung zum Aufstiegs-BAföG aus dem bisherigen SGB II Leistungsbezug heraus. Und zum anderen kam für die Zeit bis zur abschließenden Bearbeitung seines Antrages nicht einmal die darlehensweise Gewährung von anderen Sozialleistungen in Betracht. Dies bedeutete für seine Familie, dass sie bis zu einer evtl. Gewährung von AFBG-Leistungen monatlich über 500,- Euro weniger zum Lebensunterhalt zur Verfügung haben würde, als es entsprechend der Bedarfssätze des ALG II erforderlich war.
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Lösungsansatz und Ergebnis
Bei der Recherche des Bürgerbeauftragten zu diesem Anliegen stellte sich heraus, dass die Förderfähigkeit der gewählten Ausbildung zum Sozialassistenten nach dem AFBG zweifelhaft war. Im Ergebnis einer hierzu geführten intensiven Rücksprache des Bürgerbeauftragten mit dem Thüringer Landesverwaltungsamt und einer dahingehenden überschlägigen Prüfung des konkreten Antrages bestätigten sich diese Zweifel: Die angestrebte Ausbildung zum Sozialassistenten war wohl nicht nach dem AFBG, wohl aber dem Grunde nach nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) förderfähig, weshalb der Bürger vom Bürgerbeauftragten zunächst auf eine dementsprechende Antragstellung hingewiesen wurde.
Durch diese veränderte Ausgangslage war es dem Jobcenter unter Berücksichtigung des konkreten Einzelfalls nun auch wieder möglich, zunächst– bis zur Entscheidung über den Antrag – übergangsweise Leistungen zu gewähren.
Über die Bearbeitung dieses Anliegen hinausgehendes Engagement des Bürgerbeauftragten:
Auch wenn dem Bürger durch die konkret bei ihm gegebene Ausgangslage durch den Bürgerbeauftragten bereits geholfen werden konnte, nahm der Bürgerbeauftragte dieses Anliegen zum Anlass, um sich auch mit der dahinter liegenden grundsätzlichen Problematik näher zu beschäftigen. Denn im Rahmen der Bearbeitung des Anliegens hatte sich folgendes sehr grundsätzliche Problem herauskristallisiert:
Durch den Fachkräftemangel insbesondere im Bereich der Erzieher und die damit im Zusammenhang stehende Änderung der Thüringer Fachschulordnung für den Bereich Sozialwesen (ThürFSO-SW) zum 01.08.2020 ist für den Fachbereich Sozialwesen für ab dem Schuljahr 2020/21 aufgenommene Ausbildungen eine berufliche Vorbildung nicht mehr zwingend erforderlich. Infolgedessen und aufgrund der Werbung und aktiven Akquirierung von Bewerbern durch Politik und Jugendhilfeträger hat die Zahl der Auszubildenden in diesem Bereich extrem zugenommen.
Hinzu kommt, dass sich Auszubildende durch das Wahlrecht zwischen AFBG-Leistungen und BAföG in der Regel für die höheren Leistungen nach AFBG entscheiden. Dies führte dazu, dass sich die Zahl der Anträge auf Gewährung von Aufstiegs-BAföG mehr als verdoppelt hatte. Da im zuständigen Referat des Amtes allerdings keine zusätzlichen Mitarbeiter eingesetzt wurden, wuchsen die Bearbeitungsrückstände enorm und die damit auch die Warte- bzw. Bearbeitungszeiten.
Problematisch ist hier aus Sicht des Bürgerbeauftragten insbesondere,
- dass Antragsteller im Bereich des AFBG (im Gegensatz zum BAföG-Antrag) von – übergangsweisen - Leistungen auf der Grundlage des SGB II ausgenommen sind. Dies führt für den entsprechenden Personenkreis zur Versagung des zum Lebensunterhalt Notwendigen oder zum zwangsläufigen Abbruch der Ausbildung.
- dass am Beginn dieses Ausbildungsjahres von einer beträchtlichen Anzahl von Personen ausgegangen werden muss, die zwar eine Ausbildung zum Sozialassistenten absolvieren möchten und aufgrund der derzeitig gängigen Beratung auch AFBG-Leistungen beantragen, aber erst nach 5 Monaten (Tendenz steigend) erfahren, dass sie keine Leistungen erhalten können.
- dass für die letztgenannte Gruppe zwar evtl. eine Weiterleitung des Antrags an die zuständige Stelle (vgl. §27a AFBG i.V.m. § 16 SGB I) oder eine Neuantragsstellung (vgl. §27a AFBG i.V.m. § 28 SGB X) möglich ist, die dann zu erfolgende Bearbeitung durch die zuständige Stelle aber zwangsläufig zu einer weiteren zeitlichen Verzögerung des Leistungsbezugs führt.
Aus Sicht des Bürgerbeauftragten ist die aktuelle Situation gegenüber den Betroffenen nicht verantwortbar und lässt das erklärte Ziel der in diesem Bereich angestoßenen rechtlichen Veränderungen - die Gewinnung von Fachkräften – bei vielen potentiellen Erzieherinnen und Erziehern ins Leere laufen.
Ausgehend davon hat der Bürgerbeauftragte den Petitionsausschuss des Thüringer Landtags in einem seiner Monatsberichte auf diesen bestehenden Missstand hingewiesen und auf eine schnellstmögliche Abhilfe gedrängt. Außerdem ist er mit der Leitung des Landesverwaltungsamtes über ein Abstellen des Problems – insbesondere für besonders dramatische Einzelfälle – intensiv im Gespräch.
Wenn Sie also einen Antrag auf Aufstiegs-BAföG gestellt haben, rät der Bürgerbeauftragte, zunächst zu überprüfen, ob diese Förderung im Einzelfall auch wirklich die richtige ist. Konkret: Für all diejenigen, die zwar eine Erzieherausbildung anstreben, aktuell aber noch eine Ausbildung zum Sozialassistenten absolvieren, kommt das Aufstiegs-BAföG wohl eher nicht in Frage.
Sollte dies bei Ihnen zutreffen, können Sie sich für eine Beratung zur weiteren Vorgehensweise gerne an den Bürgerbeauftragten wenden. Dies gilt auch, wenn Sie den Eindruck haben, dass sich die Bearbeitung Ihres Antrags auf Aufstiegs-BAföG unangemessen lange verzögert und Sie dadurch in existentielle Not kommen.
Zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger, die wir beraten, behalten wir uns vor, bei den geschilderten Fällen auf Namen und Ortsangaben zu verzichten oder sie so abzuwandeln, dass eine Identifikation ausgeschlossen werden kann. Zur besseren Verständlichkeit verzichten wir auf eine exakte Darlegung der Rechtslage, sind aber gerne bereit, diese auf Nachfrage zu erläutern.