Darf man in einem benachbarten Bundesland zur Schule gehen?
In einer Gemeinde nahe der Landesgrenze Thüringen/Sachsen-Anhalt beobachtete eine Bürgerin vor der örtlichen Schule Tag ein, Tag aus das Gleiche: Eltern brachten ihre Kinder mit dem Auto zur Schule, aber zahlreiche Autos trugen ein sachsen-anhaltinisches Kfz-Kennzeichen. „Ist das Schulwesen nicht eigene Angelegenheit eines jeden Bundeslandes?“ Und falls ja: „Wieso können dann Kinder aus Sachsen-Anhalt eine thüringische Schule besuchen?“ fragte sich die Bürgerin und wandte sich mit ihrem Unbehagen an den Bürgerbeauftragten. Dem schilderte sie, die Einwohner der Gemeinde würden schon längere Zeit über die beschriebene Praxis diskutieren und man habe durchaus auch die Befürchtung, die eigenen „Landeskinder“ würden an der von einem freien Träger geführten Schule dann womöglich keinen Platz mehr erhalten. Dies empfinde man als ungerecht, zumal die ehemals staatliche Schule vor einigen Jahren erst mit Fördergeldern des Freistaats umfassend saniert worden sei. Die Bürgerin bat den Bürgerbeauftragten, diese Problematik mit dem zuständigen Ministerium zu diskutieren und ihr in diesem Zusammenhang auch einige Fragen zur Finanzierung von Schulen in freier Trägerschaft zu beantworten.
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Lösungsansatz und Ergebnis
Schülerinnen und Schüler sind zum Schulbesuch verpflichtet, haben dabei aber ein Recht darauf, eine Schule der von ihnen gewählten Schulform zu besuchen. Dieses aus dem Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz) folgende Wahlrecht ist nicht auf das Bundesland des Wohnortes beschränkt, so dass Schülerinnen und Schüler ihre Schulpflicht grundsätzlich auch durch den Besuch einer Schule in einem benachbarten Bundesland erfüllen können. Zwischen benachbarten Bundesländern, bei denen derlei Schulbesuche wegen der geographischen Lage regelmäßig und oft vorkommen (z.B. Berlin/Brandenburg oder Hamburg/Schleswig-Holstein), gibt es mitunter entsprechende Abkommen zwischen den Ländern.
Neben den staatlichen allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen gibt es im Freistaat Thüringen über 100 Ersatzschulen, auch Privatschulen genannt. Diese sind Schulen in freier Trägerschaft, die in ihren Bildungs- und Erziehungszielen den staatlichen Schulen entsprechen.
Die Finanzierung dieser „freien“ Schulen regelt das Gesetz über die Schulen in freier Trägerschaft (ThürSchfTG). Hiernach gewährt das Land den Schulträgern für genehmigte Ersatzschulen auf Antrag und unter bestimmten Voraussetzungen staatliche Finanzhilfe zur Deckung der Kosten für den Personalaufwand und den Schulaufwand sowie für Baumaßnahmen, § 17 ThürSchfTG. Soweit es um die staatlichen Finanzhilfen zum Personal- und Schulaufwand geht, gewährt das Land dem Träger je Schüler, der die Schule besucht, einen Schülerkostenjahresbetrag (SKJB), vgl. § 18 Abs. 2 ThürSchfTG.
Der Tatbestand des § 18 Abs. 2 ThürSchfTG umfasst dabei jedoch nicht das Merkmal „Wohnsitz in Thüringen“. Das bedeutet, dass Schüler aus anderen Bundesländern, die zum Schulbesuch nach Thüringen kommen, nicht von der staatlichen Finanzierung ausgenommen sind.
Was die Gewährung der staatlichen Finanzhilfen zum Personal- und Schulaufwand angeht, wäre – so die Auskunft des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport – die Einführung einer sog. „Landeskinderklausel“ verfassungsrechtlich zwar zulässig. Allerdings existiert in Thüringen eine solche „Landeskinderklausel“ bisher nicht. Denn, so das Ministerium weiter, eine „Landeskinderklausel“ ließe wohl umgehend eine entsprechende Reaktion der umliegenden Länder erwarten. Die Folge: eine Steigerung des Vollzugsaufwands, ohne dass es im Ergebnis zu einer Kosteneinsparung in der Sache käme.
Denn: Natürlich besuchen nicht nur Kinder aus benachbarten Bundesländern Thüringer Schulen, sondern auch Kinder aus Thüringen gehen in benachbarten Bundesländern zur Schule. Insoweit findet an allen Landesgrenzen ein entsprechender ‚Austausch‘ statt, der sich im Großen und Ganzen die Waage halten dürfte.
Zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger, die wir beraten, behalten wir uns vor, bei den geschilderten Fällen auf Namen und Ortsangaben zu verzichten oder sie so abzuwandeln, dass eine Identifikation ausgeschlossen werden kann. Zur besseren Verständlichkeit verzichten wir in der Regel auf eine detaillierte Darlegung der Rechtslage, sind aber gerne bereit, diese auf Nachfrage zu erläutern.
Stand: 2024