Abwasserzweckverband entscheidet und die Bürger müssen bezahlen – kann das sein?
Das Grundstück einer Bürgerin sollte an die öffentliche Abwasserentsorgungseinrichtung angeschlossen werden. Technisch gab es dafür verschiedene Alternativen. Der zuständige Zweckverband hatte sich für die Variante entschieden, die zwar vom Freistaat Thüringen finanziell gefördert wird, aber den Einbau einer Pumpe auf den angeschlossenen Grundstücken erforderlich machte, um das Abwasser in das innerörtliche Kanalnetz einzuleiten. In dieser Situation wandte sich eine Bürgerin ratsuchend an den Bürgerbeauftragten und stellte die Frage, ob sich der Abwasserzweckverband tatsächlich für eine Entsorgungsvariante entscheiden kann, die ihr und anderen Anwohnern mit Blick auf die anzuschaffende Pumpe Mehrkosten verursacht. Nach ihrer Auffassung gab es nämlich auch eine für den Abwasserzweckverband zwar teurere, für die Anwohner aber kostengünstigere Alternative, bei der eine Pumpe nicht erforderlich war.
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Lösungsansatz und Ergebnis
Die rechtliche Ausgangslage war im gegebenen Fall klar: Gemäß § 2 Abs. 2 Thüringer Kommunalordnung (ThürKO) gehört zu den eigenen Aufgaben der Gemeinden u.a. auch die Abwasserbeseitigung und –reinigung. Nach dem Thüringer Gesetz über die Kommunale Gemeinschaftsarbeit (ThürKGG) können Gemeinden und Landkreise zusammenarbeiten, um Aufgaben, zu deren Wahrnehmung sie berechtigt oder verpflichtet sind, gemeinsam zu erfüllen und zu diesem Zweck sog. Zweckverbände gründen. Zweckverbände sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, die ihre Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze unter eigener Verantwortung verwalten und das für ihre Tätigkeit geltende Recht eigenverantwortlich festlegen (sog. Satzungsautonomie). In einem Wasser- oder Abwasserzweckverband schließen sich mehrere Gemeinden zusammen und übertragen dem Zweckverband die Erledigung einer speziellen öffentlichen Aufgabe wie z. B. die der Wasserversorgung oder die Abwasserbeseitigung.
Bei der Erfüllung seiner Aufgaben steht dem Zweckverband ein an fachlichen Gesichtspunkten orientierter Bewertungs- und Ermessensspielraum zu. Dieser Spielraum betrifft auch technische Detailfragen. So zum Beispiel die Frage, ob Ortslagen lediglich dezentral angeschlossen werden, ob Grundstücke im Freispiegelkanalsystem entwässert oder ob aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen eine Druckentwässerung oder Unterdruckentwässerung für vorzugswürdig befunden wird.
Im gegebenen Fall nahm der Bürgerbeauftragte deshalb Rücksprache mit den zuständigen Zweckverband, um sich über dessen Erwägungen, die hinter der getroffenen Entscheidung stehen, zu informieren.
Der Zweckverband verwies in seiner Antwort zunächst auf die rechtlichen Vorgaben, die hier den Rahmen absteckten: die Zielsetzungen der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie, das Wasserhaushaltsgesetz sowie das geänderte Thüringer Wassergesetzes (§ 47 Abs. 3). Auf der Grundlage dessen war der Anschluss der in der betroffenen Ortslage befindlichen Grundstücke und somit auch des Grundstückes der Bürgerin an die öffentliche Entwässerungseinrichtung mit Reinigung des Schmutzwassers in einer zentralen Kläranlage notwendig. Das Abwasserbeseitigungskonzept des Zweckverbandes sah daher vor, in der Ortslage ein Trennsystem mit Ableitung des Schmutzwassers zur Kläranlage zu errichten.
Zur Schaffung einer geordneten und den Regeln der Technik entsprechenden Abwasserentsorgung der Ortslage seien, so erläuterte der Zweckverband, innerhalb des Planungsprozesses mehrere Varianten sowohl nach technischen als auch nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten untersucht worden. Im Ergebnis dieser Untersuchungen sei unter Abwägung der vorgenannten Einflussgrößen und nach durchgeführter Kostenvergleichsrechnung festgestellt worden, dass ein zentraler Anschluss der Ortslage mittels der Ausführung des Ortsnetzes als Druckleitungssystem technisch und wirtschaftlich durchführbar sei. Aufgrund der geplanten Ausführung des Ortsnetzes als Druckleitungssystem sei die Einleitung des Schmutzwassers von den erschlossenen Grundstücken über Abwasserpumpstationen, die durch die Grundstückseigentümer errichtet und betrieben werden müssten, notwendig. Die entsprechenden Anschaffungs-, Betriebs- und Unterhaltungskosten für die Grundstückseigentümer seien Bestandteil der durchgeführten Kostenvergleichsrechnung gewesen. Der Abwasserzweckverband habe sich bei der Auswahl der technisch durchführbaren Entwässerungsvarianten im Übrigen nicht nur für die für ihn günstigste Variante, sondern im Hinblick auf das Interesse der Bürger für die insgesamt wirtschaftlichste Variante entschieden.
Dabei gehöre eine Abwasserpumpstation als Teil der (privaten) Grundstücksentwässerungsanlage zu den standardmäßigen technischen Maßnahmen, um ein Grundstück an die öffentliche Entwässerungseinrichtung anzuschließen: Bestehe zum Kanal kein natürliches Gefälle oder sei aufgrund der Ausführung des Kanals als Druckrohrleitung oder Vakuumentwässerungsleitung ein Ablauf im freien Gefälle nicht möglich, so könne von den jeweiligen Grundstückseigentümern der Einbau und Betrieb einer Hebeanlage zur Entwässerung des Grundstückes bzw. eines für Vakuumentwässerungsleitungen geeigneten Hausanschlussschachtes verlangt werden. Dies, wenn ohne diese Anlage eine ordnungsgemäße Beseitigung der Abwässer nicht möglich oder mit einem nicht vertretbaren finanziellen Aufwand für den Zweckverband verbunden sei. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den zu erwartenden Kosten, die die Änderung der Entwässerung und der Bau einer Hebeanlage für die Grundstückseigentümer mit sich bringen.
Diese Rückäußerung war aus Sicht des Bürgerbeauftragten auch deshalb nicht zu beanstanden, weil nach Auffassung der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung Anschlusskosten nicht absolut betrachtet werden dürfen, sondern stets in Relation zum Grundstück (Größe, Lage, Wert) gesehen werden müssen. Die mit einem Anschlussverlangen ausgelösten Anschlusskosten überschreiten die Schwelle zur Unangemessenheit daher nur selten, zumal selbst Anschlusskosten in Höhe von 25.000,- EUR je Wohnhaus die Zumutbarkeitsschwelle (noch) nicht überschreiten.
Zwar konnte der Bürgerin letztlich keine Auskunft im von Ihr erhofften Sinn gegeben werden, die Informationen und Erläuterungen des Bürgerbeauftragten machten die Entscheidung des Zweckverbandes aber besser nachvollziehbar und wirkten dem Misstrauen entgegen, dass hier gegen die Interessen der Bürger oder gar rechtswidrig entschieden worden sei.
Zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger, die wir beraten, behalten wir uns vor, bei den geschilderten Fällen auf Namen und Ortsangaben zu verzichten oder sie so abzuwandeln, dass eine Identifikation ausgeschlossen werden kann. Zur besseren Verständlichkeit verzichten wir ggf. auf eine detaillierte Darlegung der Rechtslage, sind aber gerne bereit, diese auf Nachfrage zu erläutern.
Stand: 2024