Neugierige Führerscheinstelle – was darf die Behörde vor der Erteilung der Fahrerlaubnis fragen und muss man darauf antworten?
Eine Therapeutin wandte sich im Sinne einer Patientin an den Bürgerbeauftragten, da ihrer Patientin bei der Beantragung der Erteilung der Fahrerlaubnis von der Fahrerlaubnisbehörde einer großen Thüringer Stadt ein Gesundheitsfragebogen vorgelegt worden war. Diesen hatte die junge Frau in der (irrigen) Annahme, dazu verpflichtet zu sein, ausgefüllt und die Frage, ob sie „wegen einer nervlichen oder geistigen Erkrankung in einer Krankenanstalt, einem Krankenhaus oder einem Sanatorium behandelt worden“ sei, mit „ja“ angekreuzt. Hierauf erließ die Fahrerlaubnisbehörde der Stadt die Anordnung, dass die Bürgerin binnen Frist ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung über die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klasse B vorzulegen habe. Anderenfalls würde die Fahrerlaubnis nicht erteilt werden.
Diese Anordnung hinterfragte die Therapeutin kritisch, weil ihre Patientin nie eine geistige oder nervliche Erkrankung gehabt und sich lediglich auf Grund einer im jugendlichen Alter erlittenen Traumatisierung einige Zeit in stationäre Behandlung begeben habe. Heute sei die Frau aber völlig gesund.
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Lösungsansatz und Ergebnis:
In diesem konkreten Einzelfall erreichte der Bürgerbeauftragte, dass die Fahrerlaubnisbehörde wegen der o.g. Einzelfallumstände von ihrer ursprünglichen Forderung abrückte und es anstatt des Gutachtens bei der Vorlage eines aussagekräftigen therapeutischen Abschlussberichtes des o.g. Inhaltes bewenden ließ. Die Fahrerlaubnis wurde dann auch erteilt.
Der Sachverhalt war dem Bürgerbeauftragten jedoch Anlass, die Verwendung des von der Stadt benutzten Gesundheitsfragebogens sehr kritisch zu hinterfragen. Dieser enthielt nämlich an keiner Stelle einen Hinweis darauf, dass die Angaben im Gesundheitsfragebogen - zumindest für Bewerber der Fahrerlaubnisklassen A und B - freiwillig sind. Im Gegenteil hieß es auf dem Antragsformular am Ende „Mir ist bekannt, dass falsche Angaben (auch im Gesundheitsfragebogen) die Entziehung bzw. Versagung der Fahrerlaubnis nach sich ziehen kann.“ Durch diese Formulierung wurde für die Antragsteller der Eindruck erweckt, sie seien zur Beantwortung der Fragen verpflichtet.
Auf entsprechende Nachfrage berief sich die Stadt zunächst auf einen aus dem Jahre 1998 stammenden ministeriellen Erlass (der jedoch seit 2015 keine Geltung mehr hatte) und argumentierte sodann, dass es für die Erhebung der Daten nachvollziehbare Gründe gebe, weil die Teilnahme ungeeigneter Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr zum Wohl der Allgemeinheit vermieden werden müsse.
Dieser Sicht der Dinge konnte der Bürgerbeauftragte nicht folgen. Denn in einem Rechtsstaat „heiligt der Zweck eben nicht die Mittel“.
Angaben zur Gesundheit gehören zu den besonders sensiblen personenbezogenen Daten und unterliegen daher auch einem besonderen Schutz (siehe auch Art. 9 Abs. 1 Datenschutz-Grundverordnung). Ein staatlicher Zugriff auf diese Daten kann daher nur mit gesetzlicher Ermächtigung und unter strenger Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips stattfinden. § 2 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) bestimmt: „Wer auf öffentlichen Straßen ein Kraftfahrzeug führt, bedarf der Erlaubnis (Fahrerlaubnis) der zuständigen Behörde (Fahrerlaubnisbehörde).“ In § 2 Abs. 2 Satz 1 StVG heißt es weiter: „Die Fahrerlaubnis ist für die jeweilige Klasse zu erteilen, wenn der Bewerber (...) 3. zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist.“
§ 2 Absatz 4 StVG regelt: „Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat.“ Diese Geeignetheit umfasst die körperliche Eignung, die geistige Eignung (zum Beispiel Reaktionsfähigkeit) und Persönlichkeitsmerkmale wie die persönliche Zuverlässigkeit und ist Voraussetzung sowohl für die Erteilung als auch den Fortbestand einer Fahrerlaubnis. § 2 Abs. 8 StVG legt daher fest: „Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung oder Befähigung des Bewerbers begründen, so kann die Fahrerlaubnisbehörde anordnen, dass der Antragsteller ein Gutachten oder Zeugnis eines Facharztes oder Amtsarztes, ein Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung oder eines amtlichen anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr innerhalb einer angemessenen Frist beibringt.“
Entsprechend der Ermächtigung aus § 6 StVG hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur mit der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) eine Rechtsverordnung erlassen, die die Anforderungen an die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, die Beurteilung der Eignung durch Gutachten und die Feststellung und Überprüfung durch die Fahrerlaubnisbehörde regelt.
§ 21 FeV legt die näheren Einzelheiten im Hinblick auf den Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis fest, § 21 Abs. 3 FeV bestimmt, welche Unterlagen dem Antrag beizufügen sind. Bei der Fahrerlaubnis der Klasse B ist ein Zeugnis oder Gutachten über die körperliche und geistige Eignung jedoch nicht genannt (§ 21 Abs. 3 Nr. 3 FeV – im Gegensatz etwa zu § 21 Abs. 3 Nr. 4 FeV).
§ 22 Abs. 2 Satz 1 FeV bestimmt aber: „Die Fahrerlaubnisbehörde hat zu ermitteln, ob Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen (…)“.
Insofern stellt sich die – praktische – Frage, wie die Fahrerlaubnisbehörde bei einem Bewerber um die Erteilung der Fahrerlaubnis für Pkw Kenntnisse über eine ggf. fehlende gesundheitliche Eignung erlangen kann. In Anbetracht des hohen Schutzgutes der Straßenverkehrssicherheit und der Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit, körperlich nicht geeignete Fahrerlaubnisbewerber aus Gründen der Abwehr dadurch hervorgerufener Gefahren für die Allgemeinheit von der Teilnahme am Straßenverkehr auszuschließen, haben sich bei den Fahrerlaubnisbehörden unterschiedliche Methoden eingebürgert, um Kenntnis von fahreignungsrelevanten gesundheitlichen Fakten zu erlangen: In manchen Fällen wird das Vorhandensein bestimmter fahreignungsrelevanter, in der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV genannter Erkrankungen/Fakten mündlich abgefragt, in anderen Fällen ist ein entsprechender Fragebogen in Gebrauch. Wird ein Fragebogen verwendet, kommt es entscheidend darauf an, ob dieser Fragebogen den Hinweis darauf enthält, dass die Beantwortung der Fragen freiwillig ist.
Denn es ist einhellige und unbestrittene rechtliche Auffassung, dass die Ermittlungen der Fahrerlaubnisbehörde über die Eignung des Bewerbers - zumindest im Blick auf Bewerber für die Fahrerlaubnisklassen A und B - nicht dazu berechtigen, „den Bewerber über der Behörde unbekannte, eignungsmindernde oder –ausschließende Tatsachen, z.B. über körperliche Gebrechen zu befragen (Gesundheitsfragebogen)“.
Im Ordnungs- und Sicherheits- bzw. Gefahrenabwehrrecht ist nämlich mit der Übertragung einer Aufgabe nicht zugleich auch die Befugnis zu Rechtseingriffen zur Erfüllung dieser Aufgabe verbunden (sog. Trennung von Aufgabe und Befugnis). Greift ein behördliches Vorgehen in die (grundrechtlich geschützte) Rechtssphäre des einzelnen ein, bedarf dieser staatliche Eingriff über die Aufgabenzuweisung hinaus einer normativen, i.d.R. gesetzlichen Befugnis. Diese Norm beseitigt dann die Schranke des dem behördlichen Handeln entgegenstehenden individuellen Rechtes und besagt, was konkret die Behörde zur Erfüllung ihrer Aufgabe zu tun berechtigt ist. Die normative Festlegung von Aufgabe einerseits und Befugnis andererseits sind somit zwei verschiedene Dinge. Der Schluss, dass mit der Aufgabe automatisch die Befugnis gegeben ist, ist unzulässig. Umgekehrt gilt hinsichtlich einer etwaigen Auskunftspflicht des Führerscheinbewerbers zu fahreignungsrelevanten gesundheitlichen Fakten der § 26 Abs. 2 ThürVwVfG. Danach sollen die Beteiligten bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken und insbesondere ihnen bekannte Tatsachen und Beweismittel angeben. Eine weitergehende Pflicht, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken, insbesondere eine Pflicht zum persönlichen Erscheinen oder zur Aussage, besteht nur, soweit sie durch Rechtsvorschrift besonders vorgesehen ist. Da dies hier jedoch nicht der Fall ist, gibt es für Fahrerlaubnisbewerber der Klasse B gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde bezüglich gesundheitlicher Fakten keine „Offenbarungs“- oder sonstigen Auskunftspflichten. Freiwillige Angaben sind jedoch möglich.
Wegen der Verwendung der verbindlichen Gesundheitsfragebögen intervenierte der Bürgerbeauftragte beim zuständigen Thüringer Ministerium, woraufhin die nachgeordneten Behörden angewiesen wurden, die Verwendung von derlei Fragebögen sofort zu unterlassen.
Was sog. Altfälle angeht, in denen der Fragebogen verwendet wurde und dortige Angaben – wie im Ausgangsfall - zur Anordnung der Beibringung eines (in der Regel sehr teuren ) ärztlichen Gutachtens führten, geht es im Kern um die Frage, ob bzw. inwieweit datenschutzwidrig erlangte Kenntnisse von der Fahrerlaubnisbehörde verwendet bzw. zur Grundlage weiteren Tätigwerdens gemacht werden durften. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat hierzu entschieden, dass im sicherheitsrechtlichen Fahrerlaubnisentziehungsverfahren unter Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen gewonnene fahreignungsrelevante Erkenntnisse ähnlich wie Erkenntnisse, die in einem Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren möglicherweise rechtswidrig gewonnen wurden, jedenfalls keinem pauschalen Verwertungsverbot unterliegen (BayVGH, B.v. 12.3.2009, Az.: 11 CS 08.3307). In diesen Fällen sei jedenfalls nicht allgemein von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen, sondern nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung der Schwere des Eingriffs in die Rechte des Betroffenen einerseits sowie des Interesses an der Straßenverkehrssicherheit und am Schutz von Leben und Gesundheit unbeteiligter Dritter andererseits abzuwägen, ob ein Verwertungsverbot anzunehmen ist (BayVGH, Beschluss v. 31.01.2014, Az.: 11 CS 13.2216).
In einer Entscheidung des Thüringischen Oberverwaltungsgerichtes (ThürOVG) vom 25.06.2014, Az.: 2 EO 124/14, zu der Frage, ob das Ergebnis einer Blutprobe, die nach einer - aufgrund wahrheitswidriger Angaben erlangten - Einwilligung des Betroffenen durchgeführt wurde, verwertbar ist, argumentiert das Gericht ähnlich. Die strafverfahrensrechtlichen Maßstäbe für die Rechtsfolgen etwaiger Mängel der Beweiserhebung könnten, so das ThürOVG, nicht unbesehen auf das ordnungsrechtliche Fahrerlaubnisverfahren übertragen werden, weil dieses andere Zielsetzungen verfolge und anderen Verfahrensbestimmungen unterliege. Soweit - wie im Fahrerlaubnisrecht - kein ausdrückliches Beweisverwertungsverbot bestehe, sei vielmehr im Einzelfall zwischen dem Integritätsinteresse des von dem Eingriff betroffenen Grundrechtsträgers und dem Gewicht der sonst zu beachtenden Belange abzuwägen. Diese Abwägung falle im Fahrerlaubnisrecht in aller Regel jedoch zu Lasten des jeweiligen Fahrerlaubnisinhabers bzw. Fahrerlaubnisbewerbers aus. Während nämlich Beweisverwertungsverbote im vorrangig repressiven Zwecken dienenden Strafprozess dem Spannungsverhältnis zwischen dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch einerseits und dem Grundrechtsschutz des Betroffenen andererseits Rechnung trügen, seien im rein präventiven, auf keine Bestrafung gerichteten Fahrerlaubnisverfahren auch Rechtsgüter einer unbestimmten Zahl Dritter mit erheblichem Gewicht, nämlich Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer, zu beachten.
Kurzum: Selbst wenn die Fahrerlaubnisbehörde durch die Verwendung des verbindlichen Gesundheitsfragebogens rechtswidrig gesundheitliche Erkenntnisse von Fahrerlaubnisbewerbern erlangt hatte, unterlagen bzw. unterliegen diese somit nicht pauschal einem Verwertungsverbot. Vielmehr ist dann der oben schon zitierte § 2 Abs. 8 StVG einschlägig. Das der Fahrerlaubnisbehörde vom Gesetzgeber in dieser Norm eingeräumte Ermessen hat die Behörde dann in jedem Einzelfall auch pflichtgemäß ermessensfehlerfrei auszuüben. Dementsprechend muss sie alle Möglichkeiten der Entscheidung und alle in Betracht kommenden Gesichtspunkte prüfen und abwägen. Es ist also insbesondere darauf zu achten, dass eine den Umständen des Einzelfalles Rechnung tragende Prüfung stattfindet und bei bejahenden Angaben im Fragebogen (oder dem ggf. ersatzweise durchgeführten mündlichen Interview) nicht ohne weiteres regelhaft die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens angeordnet wird. Leider scheint die regelhafte Anordnung aber in der hier betroffenen Stadt geübte Praxis gewesen zu sein.